Schwyzer Sagen Sammlung
Seit 1978 beschäftigt sich Hans Steinegger mit Sagen. Er sammelt, forscht und macht immer wieder Funde. Inzwischen sind so in seiner Privatbibliothek zum Thema "Sagen" über 800 Bücher, Schriften und auch Tonträger zusammengekommen. Nicht mitgezählt mehrere hundert Fachbücher aus dem Bereich Volkskunde - Alltagsgeschehen, Heimatkunde, Feste und Bräuche, Volkskunst, Volksmusik usw.
Hättest Du zu Beginn Deines Schaffens je daran geglaubt, dass eine derart grosse und reichhaltige Sagensammlung entsteht?
Nein, ich wollte ja ursprünglich nur beweisen, dass es im Dorf Schwyz auch Sagen gibt, hiess es doch immer wieder, der Kanton Schwyz sei ärmer an Sagengut als etwa die anderen Urkantone. Das liegt nun aber schon über vier Jahrzehnte zurück! Mein Sammeln und Forschen hat sich dann auf die Region und schliesslich auf den ganzen Kanton ausgedehnt. Mittlerweile sind es weit über (teils noch unveröffentlichte) 1500 Sagen und Geschichten, die ich zusammengetragen habe, darunter natürlich auch Überlieferungen aus der ganzen Schweiz mit Bezug zum Kanton Schwyz, zudem aus dem nahen deutschsprachigen Ausland, vor allem Süddeutschland, Liechtenstein, Österreich und Südtirol.
Sagen sind mündliche Überlieferungen. Wer hat angefangen, sie aufzuschreiben?
Die Brüder Grimm waren 1816 mit ihren „Deutschen Sagen“ die ersten Sammler; auch Schwyz war darin vertreten. Die meisten Sammlungen sind jedoch um 1850 entstanden. In der Innerschweiz zeichnete der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat viel Sagenhaftes schon im 16. Jahrhundert auf. 1862 veröffentlichte der Luzerner Geistliche Alois Lütolf in einem Buch erstmals zahlreiche Sagen, Bräuche und Legenden aus der Zentralschweiz. Sagenenhafte Überlieferungen aus dem Kanton Schwyz haben im 19. Jahrhundert als Erste Felix Donat Kyd von Brunnen und Jakob Ochsner aus Einsiedeln aufgeschrieben. Später auch lokale Sammler wie Alois Dettling, Alfred Schaller-Donauer, Anton Blum oder Fritz Ineichen. Ein grosser handschriftlicher Fundus stammt vom berühmten Altdorfer Spitalpfarrer Josef Müller (1870-1929). Seine zumeist unveröffentlichten, handschriftlichen Aufzeichnungen durfte ich in meine „Schwyzer Sagen“ aufnehmen.
Wie bist Du an weitere Sagen aus dem Kanton Schwyz gekommen? War da auch Feldforschung angesagt?
Auf verschiedenen Wegen: Aus bestehenden, lokalen Sagensammlungen und durch intensives Recherchieren in Archiven, Büchern, Schriften, Zeitungen und Kalendern. Ich habe aber auch eine zeitlich und örtlich begrenzte Feldforschung betrieben, also das Nachfragen bei Leuten vor Ort.
Gab es da auch Hindernisse?
Wenn von "Hindernissen" beim Zusammenstellen der Sagensammlung gesprochen werden kann, dann im Bereich der Feldforschung. Es war oft schwierig, Leute zu finden, die Sagen noch frei erzählen konnten oder sich für dieses Thema überhaupt "öffnen" wollten. Dahinter steckte wohl auch Verunsicherung - einerseits belächelt zu werden, anderseits mit "Abergläubischem" nichts zu tun zu haben. So blieben die "Geschichten" vielfach fragmentarisch, nicht zuletzt aber auch darum, weil schon vor zwanzig Jahren die Erzähltradition durch den Einzug der Medien (Radio, Fernsehen usw.) in den hintersten Talschaften deutlich geschwächt war.
Ein zusätzliches "Hindernis" war sicher auch der Umstand, dass meine Sagensammlung innert rund zehn Jahren ausschliesslich in Freizeitarbeit entstand und deshalb eine intensive und systematische Feldforschung nicht möglich war. Für eine wissenschaftliche Arbeit hätte ich zudem als Reallehrer die erforderliche Ausbildung nicht gehabt. Mein Hauptziel war denn auch nur, möglichst viele Sagen ausfindig zu machen und zusammenzutragen. Ich verstand die Form der Veröffentlichung von Anfang an nur als "Hauslesebuch", geordnet nach Gemeinden. Dass schliesslich vier Bände daraus wurden, ist nicht zuletzt dem damaligen grossen Interesse der Bevölkerung zu verdanken. In den 1980er und 1990er Jahren herrschte zudem generell ein "Sagen-Boom".
Woher kommt Deine Faszination für Sagen?
Sagen sind Teil unserer Kultur – der Landschaft, der Geschichte, des Alltags, des Brauchtums. Alles Bereiche, die zur Landes- und Volkskunde gehören und mich generell faszinieren. Da die vielfältigen Motive in den Sagen internationales Wandergut sind, lassen sich dadurch zahlreiche Vergleiche anstellen. Darum interessiert es mich u.a. vor allem, wie und wo die vielfältigen Motive auf lokale Ereignisse, Personen oder Objekte übertragen werden. Die Hexensagen sind dafür ein gutes Beispiel. So befasste ich mich nach und nach auch intensiver mit der "Theorie" rund um die "Sagenwelt".
Was unterscheidet Sagen von Märchen?
Sagen haben immer einen Bezug zu einem Ort, einer Person, einem Ereignis oder Erlebnis. Es ist ein meist kurzer Sachbericht, der zeitlich eingeordnet werden kann und vom Erzähler für „wahr“ gehalten wurde. Grob unterscheidet man zwischen geschichtlichen, erklärenden und dämonischen Sagen. Ganz anders beim Märchen: Das beginnt ja auch mit „Es war einmal…“ und ist damit weder an Zeit, Ort oder Person gebunden. Die Sage ist demnach „historischer“, das Märchen „poetischer“. Sagen sind also viel mehr als nur „Gschichtli“.
Werden Dir noch immer "neue" Sagen zugetragen?
Auf mündlichem Weg sind das bald nur noch Zufallsfunde. In den 1970er Jahren erzählte mir natürlich die "ältere" Generation noch die Sagen - heute gehöre ich selber zu dieser Generation! Noch immer ist für mich jeder Ausflug - ob in der Schweiz oder im grenznahen und kulturverwandten Ausland - eine "Kulturreise". Ich erkundige mich in allen noch so kleinen Ortschaften nach Büchern über Sagen und Bräuche. Auch in Brockenhäusern und Antiquariaten. Da gibt es immer wieder Funde - und ich suche darin natürlich akribisch nach Verbindungen zum Kanton Schwyz. Da gibt es tatsächlich immer wieder Überraschungen!
Sagen aus dem Kanton Schwyz
Hexen - Geister - Starke Leute - Pestzeit - Franzosenzeit - Wildmannli - Pilger
und vieles mehr...
Nachfolgend ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung von über 1500 Sagen.
In loser Folge findest Du immer wieder spannende Sagen kombiniert mit Bildern auf Facebook - Schwyzersagen
Vom Herkommen der Schwyzer
Zur Zeit des Königs Gisbertus brach in Schweden eine gewaltige Hungersnot aus. Deshalb rief der König das Volk des ganzen Landes zusammen. Die Versammlung beschloss, dass jeden Monat durch das Los ein bestimmtes Geschlecht aus dem Königreich auswandern müsse. Schon bald betrug die Zahl der Ausgestossenen 6000 Schweden und 1200 Friesen.
Die zahlreichen Auswanderer schlossen sich aber ausser Landes wieder zusammen und zogen gemeinsam nach Süden. Ihr Ziel war Rom, denn sie hatten vernommen, dass dort immer die Sonne scheine und Früchte in reichem Masse vorhanden seien. Ihre Anführer hiessen Swit, Remus und Wadislaus. Am Rhein kam es zu einer gewaltigen Schlacht gegen die Franzosen. Die Schweden gingen aus diesen Kämpfen als Sieger hervor.
Nach langen Wanderungen erreichten die aus ihrer Heimat vertriebenen Schweden Fräckmünd im Herzogtum Oesterreich. Sie beschlossen, hier zu bleiben, und baten den Grafen von Habsburg um Erlaubnis, sich auf seinem Gebiet anzusiedeln. Der Graf gestattete es. Alsdann begannen sie das Land zu roden. Schon bald aber zogen sie wieder weiter und teilten sich in drei Gruppen auf. Während sich Remus mit seinem Stamm Nidwalden zuwandte, überquerte Wadislaus mit seinem Volk den Brünig und gelangte so ins Haslital.
Swit und sein Bruder Schejo wollten aber weiter über die Alpen nach Rom. Auf ihrem hindernisreichen Weg kamen sie zuerst ins Tal der Alp und in den Finstern Wald zur Lieben Frau von Einsiedeln. Furchtlos setzten sie ihren Weg fort bis tief in die dunklen Urwälder. Überraschend gewahrte Swit am Fusse zweier gewaltiger, turmartiger Berge eine grüne Ebene. Sie war umschlossen von dichtem Wald und teils steil abfallenden Bergen und Hügeln. Im Hintergrund schimmerten Schneeberge über einer grossen, grünen Wasserfläche. Westwärts des Talkessels erblickte der Anführer einen kleinen, blauen Bergsee.
Swit und sein Stamm bemerkten sehr bald, dass dieses neue Land ihrer Heimat ähnlich sei. Sie hielten Rat und beschlossen, hier zu bleiben und nicht nach Rom weiterzuziehen. Die beiden grossgewachsenen und kräftigen Brüder Swit und Schejo wurden untereinander aber uneins. Sie stritten sich, wie das neue Land heissen solle. Jeder meinte, es müsse seinen Namen tragen. Da keiner der beiden nachgeben wollte, beschlossen sie, den Streit in einem Zweikampf zu entscheiden. Wer dem Schwert seines Gegners erliege, dürfe dem Land den Namen geben. Beide fielen übereinander her und kämpften, bis Schejo tot hinsank.
So erhielt das ganze Tal den Namen Schwitz (Schwyz). Dieser Ort gab später auch dem Land der Eidgenossen den Namen Schweiz.
nach Bonstetten/Etterlin - Schwyzer Sagen Band I
Das blutrote Muotawasser – aus der Zeit von Suworow
Von Schönenbuch herkommend, verbrannten die Franzosen im Schlattli nach dem Durchmarsch die Holzbrücke über die Muota. Nur zwei Grundbalken blieben als Notsteg bestehen. Inzwischen waren die Russen über den Kinzigpass ins Muotatal einmarschiert. Beim Rambach kam es zum Kampf, wobei die Franzosen das Gefecht verloren und den Rückzug antreten mussten. Südlich der Hinter-Ibergbrücke, früher «Linggis Gütsch» genannt, stellten sich die Franzosen den Russen nochmals zur Wehr. Es kam zu einem schweren Kampf. Die Russen bestiegen die Güntern und gingen über die Krete zwischen Muotathal und Klingentobel gegen einen markanten Hügel vor, der später den Namen «Franzosen-Schanze» erhielt. Plötzlich wurden die sorglosen Franzosen von einem heftigen Flankenfeuer überrascht. Zu einem eigentlichen Kampf kam es nicht mehr, denn die Franzosen stürzten sich Hals über Kopf in die Flucht. Das ganze Heer drängte dem ehemaligen Übergang beim Schlattli zu. Bei der zerstörten Holzbrücke angekommen, wurden Kanonen, Munitionswagen und Furgons samt Pferde in die schäumende Muota gestossen. Die französischen Soldaten flohen nach Möglichkeit im Laufschritt über die zwei noch bestehenden Balken. Oftmals sollen sich ganze Reihen, vermutlich wegen Schwindels, gegenseitig in die Schlucht gerissen haben. Zuletzt kam auf einem Schimmel ein hoher französischer Offizier dahergeritten. Als er ebenfalls bei der ehemaligen Brücke angelangt war, spornte der Offizier sein Pferd gegen den Abgrund. Auf der äussersten Felskante bäumte sich das Reitpferd auf, doch der Offizier im Sattel setzte zum zweiten Male an. Das Tier sträubte sich erneut. Erst beim dritten Versuch wagte das Pferd den Sprung in den entsetzlichen Abgrund. Ross und Reiter verschwanden in den schäumenden Fluten. In Ibach soll das Muotawasser ganz rot vom Blut der Franzosen gewesen sein.
nach Büeler-Chronik – Schwyzer Sagen Band I
Bild: Muota nähe Stoosbahn & Suworow Brücke
Starke Leute - Martin Schelbert und der Engländer
Um 1800 soll es einen baumstarken Engländer gegeben haben, der Weltmeister im Turnen und Schwingen war. In der ganzen Welt suchte er nach den stärksten Männern, um gegen sie zu kämpfen. So kam er auch in die Schweiz, weil er vom "starken Schelbert" gehört hatte. Auch ihn wollte er "bodigen". Der Engländer fand den Muotataler auf der Alp Gampel am Pragel, wo er mit seinem Bruder alpte. Als Schelbert den Fremden gesehen habe, sei er sicher gewesen, dass dieser zu besiegen wäre. Der Engländer forderte ihn kurz darauf auf, vor der Hütte zu einem "Hoselupf" anzutreten. Martin Schelbert habe aber erklärt, dass er noch nie in seinem Leben schwingen geübt habe; er werde auch nie schwingen, weil er zu wenig gewandt sei. Der Engländer hörte mit seinem Drängen nicht auf, bis Schelbert einwilligte. Schon beim ersten Zupacken warf Schelbert den Engländer anscheinend mit Leichtigkeit auf den Rücken. Dieser aber meinte, er hätte einen Fehlgriff getan und wollte unbedingt einen zweiten Gang. Aber auch beim zweiten Versuch warf Schelbert den baumstarken Turner aus England so heftig auf den Boden, dass seine Glieder krachten. Der Muotataler meinte trocken: "Was hesch jetz für-ne Uusreed - wo hett's-dr ächt jetz wider gfäält?" Der Engländer verschwand alsogleich beschämt und wollte seiner Lebtage vom "starken Schelbert" nichts mehr wissen.
mündliche Überlieferung - Schwyzer Sagen Band II
Die Kastenvögtin - Der hilfreiche Kapuziner
Die Kastenvögtin war eine gar böse Hexe, die den Bauern viel üble Streiche spielte. Hatte jemand liegendes Heu auf der Wiese, und sah man die Hexe sich in ihr Haus zurückziehen, dann kam gewiss in kürzester Frist aus irgendeiner Wetterecke ein "Schprutz" Regen, der das Eintragen des Heues verwehrte. In ihrem Haus hatte sie einen ledernen "Schtriich", eine Zitze, an der sie nur die Bewegungen des Melkens auszuführen brauchte, und sofort floss frische, kuhwarme Milch heraus. Aber es spürte dann gewiss irgendwo ein Bäuerlein der Umgebung, dass seine Kuh weniger Milch gab.
Das verdross die geplagten Leute. Sie schickten einen aus ihrer Mitte zu einem frommen Kapuziner nach Schwyz. Dieser versprach zu helfen. Er gab dem Boten einen beschriebenen Zettel, befahl ihm, auf einem Wagen vor das Haus der Hexe, das an der Strasse stand, zu fahren, ihr zu rufen und sie dann, wenn sie vom Fenster aus den Zettel in Empfang nehme, zu ergreifen, auf den Wagen hinunter zu zerren, zu binden und baldigst auf einem bestimmten Platz zu verbrennen. Aber zwei Bedingungen legte er dem Ratsuchenden ganz besonders ans Herz: Vor allem solle er ja den Wagen peinlichst reinigen, damit sicher nicht das geringste Erdklümpchen daran haften bleibe, denn sobald eine Hexe ein noch so geringes Stück "Härd" in die Hände oder unter die Füsse bekomme, entspringe sie der Gewalt der Menschen. "Dann", fügte der kluge Pater bei, "wird sie euch, wenn sie auf dem Wagen ist, gar flehentlich um dies und jenes bitten. Unter keinen Umständen dürft ihr aber der Hexe willfahren, mag das Ding auch noch so unschuldig sein." Der Bote tat nach den Worten des Ratgebers. Er bekam das schändliche Weibsbild in seine Gewalt. Auf dem Gefährt benahm sie sich ruhig, als ob sie sich ganz willig in ihr Los schicken würde. Sie bat aber von Zeit zu Zeit mit der unschuldigsten Miene um einen Gegenstand. Doch stets war es etwas, an dem Erde klebte. Der besonnene Fuhrmann blieb aber hart. Erst an einem Rübenacker gab er ihrer inständigen Bitte um eines der hübschen, gelben "Rüebli" nach. Wohl putzte er es nach seinem Dafürhalten sorgfältig ab, aber, wie es scheint, doch zu wenig. Sobald sie das Rüebli in ihren "Chralle" hatte, war sie verschwunden. - Ein zweites Mal konnte oder wollte der wieder befragte Kapuziner in Schwyz nicht mehr helfen.
nach Josef Müller - Schwyzer Sagen Band I